Eine Sezession wird gegründet von Wilhelm Thöny (1930?)
Vereinschronik über die Jahre 1923 - 1938(Seite»2»3»4»5»6»7»8)
von Margit Fritz-Schafschetzy und Wolfgang Silberbauer (1993)
Chronik der Sezession Graz(Seite »2»3»4»5»6»7»8)
von Trude Aldrian (1973)
Salut zum Siebziger! von Heribert Schwarzbauer (1993)
Eines Tages ergab sich die Notwendigkeit, in Graz eine Sezession zu gründen. Es ist heute schwer festzustellen, wer es war, der diese Notwendigkeit so dringlich erkannt hatte, dass es tatsächlich zu jener denkwürdigen Sitzung kam, die an einem tristen Novemberabend des Jahres 1923 stattfand und deren Ergebnis eben die Gründung der Sezession Graz war.
Kaum hatte sich diese vollzogen, als die nicht gerade sehr zahlreichen Mitglieder auch schon die Schwierigkeiten erkannten, die sich einem solchen Unternehmen allein schon seines Titels wegen entgegenstellen mussten. Einer Sezession - also einer Absonderung - haftet der Beigeschmack von Verschwörung, Auflehnung gegen das Hergebrachte, wenn nicht gar von Überheblichkeit an; ein Odium, das dem friedlichen Mitbürger verdächtig erscheint. Wie war es doch - wird er sich sagen - in den bewegten Zeiten vor dreißig Jahren, da die Wiener Secession an die Öffentlichkeit trat? Waren die Kühe nicht blau und die Tannenbäume violett, wiewohl diese besser braun oder grün hätten sein sollen? Wurden nicht die Anhäufung von wüsten Farbklecksen Porträts
genannt, die, gelinde gesagt, keine Spur von Ähnlichkeit aufwiesen? Solches also - so mochte jeder Mitbürger denken - sollte sich nun auch innerhalb des Weichbildes unserer Stadt begeben. Misstrauen muss das geringste sein, was diesen Absonderungen zu zeigen wäre.
Mit solchen Voreingenommenheiten rechneten die Sezessionisten. Des ferneren verursachte die finanzielle Frage das größte Bedenken. Der freie bildende Künstler darf sich im modernen Staat zu den ganz wenigen rechnen, die sich trotz latenter Arbeitslosigkeit keines Anspruchs auf Unterstützung erfreuen. Das nackte Leben ist ihm nicht garantiert, und seine Arbeit wird günstigsten Falles erst nach seinem Ableben zum vollen Wert bezahlt. Kurz, es musste überlegt werden, auf welchem gangbaren Weg Mittel aufzubringen wären, die fürs erste wenigstens die Anschaffung von Briefpapier ermöglichten. Wobei es der vornehmste Zweck dieses Briefpapiers sein sollte, alle Welt von der Gründung und der Tatsache zu verständigen, dass die Vereinigung Geld brauche, um eben alle Welt zu verständigen... Man erkennt, wie kompliziert diese Geburt war. Von den eigentlichen Plänen wurde mit Rücksicht auf eine Beruhigung etwaiger Geldgeber vorläufig nur in unverständlichen Andeutungen gesprochen, eine Vorsichtsmaßregel, die sich als ziemlich zwecklos erwies. Das erste Vierteljahr wurde mit einem Defizit von fünfzehn Schilling eingeleitet, die man für das Briefpapier aufgenommen hatte.
Die noch überaus zarten, ersten Keime der Sezession begannen in der Sauren Frau
, einem verborgenen Weinlokal in der Burggasse, zu treiben. Als sie sich genug widerstandsfähig zeigten, wagte man sich in den Admondkeller vor. Unvergessliche Abende! Bis zu ihrer ersten Ausstellung, die im Herbst 1924 stattfinden sollte, hatte die Sezession Zeit, zu beraten. Sie tat dies im Kreis ihrer zahlreichen Freunde und Gönner in solchem Maße, dass sie es in endlosen Debatten sogar zu Vereinssatzungen brachte. Es hatte sich im Laufe der Jahre herausgestellt, dass diese Satzungen, für deren Herstellung man Nächte geopfert hatte, fast überflüssig waren - kein Sezessionist scheint sie jemals gelesen zu haben. Nachdem sie nun aber vorlagen, sogar im Druck, fühlte sich jedermann konsolidiert und gleichsam kampfberechtigt. Und aus den schweren Rauchschwaden, die jede Sicht benahmen, tönten kriegerische Reden und große Worte.
Jetzt fühlte man den Ernst des Vereinslebens. Da es aber im Augenblick nach außen hin nichts zu wirken gab, stillte man den Tatendrang durch einen neuerlichen Umzug. Man siedelte ins Grand Hotel Wiesler
. Der Termin der ersten Ausstellung rückte näher, das Gemeinschaftsgefühl verdichtete sich, und alles war auf Arbeit und Erfolg konzentriert.
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Die erste Ausstellung dauerte vier Wochen, und wurde von mehr als 3000 Interessenten besucht. Ablehnung und Zustimmung hielten sich ungefähr die Waage, was bei der Öffnung der bekannten Urne ersichtlich wurde, die zur Aufnahme der schriftlich abgegebenen Volksstimmen
aufgestellt war; immerhin enthielt diese Urne auch schwere Angriffe und herzhafte Injurien. Man wusste sich darüber zu trösten, indem man es als wesentlich und angenehm empfand, durch den Überschuss, den die Bilanz der Ausstellung ergab, bis auf weiteres der materiellen Sorge enthoben zu sein. Zudem langte die Einladung der Wiener Secession ein, die Kollektion in ihrem schönen Haus in der Friedrichstraße zu zeigen.
Ein so wohlgelunges Auftreten musste nun doch wohl gefeiert werden, und was konnte näher liegen, als die Freunde zu einem Fest zu laden? Maler vermögen es, sofern sie gerade frei von ihrer üblichen Depression sind, mit Hilfe von einigen Latten und etwas Crepepapier nüchterne Räume in ein schimmerndes Tuskulum zu verwandeln. Ihre genaue Kenntnis der Farbwirkung und ihr Gefühl für Raum und Licht setzt sie in den Stand, mit primitiven Mittel bedeutende Effekte zu erzielen. Auf solche Art und unter großer Assistenz der Architekten (die bei solchen Anlässen für die Stabilität und gute Stimmung verantwortlich zeichnen) kam die Piperipi-Redoute
zustande, mit der sich die Sezession sozusagen in die Gesellschaft einführte; was ihr nach Meinung gewiegter Karnevalisten geglückt ist.
Da von der Gesellschaft die Rede ist, muss gesagt werden, dass ihre Stellung zu allem, was die Sezession ihr bot, viel aktiver war, als nach den düsteren Prognosen von ehemals angenommen werden konnte. Das bezieht sich nicht allein auf den heiteren Teil der Jahresprogramme, sondern auch auf die Ausstellungen und Vortragsabende. Das Publikum erwies sich als großstädtisch
, es kam, als Adolf Loos und Theodor Däubler lasen, es hörte sich Ravel und Strawinsky vom meisterlichen Michl-Quartett an und zeigte sich an den Dichtungen der Mitglieder des Steirischen Schriftstellerbundes ebenso interessiert, wie an jenen Theodor Sappers oder des Düsseldorfers Meyer-Eckhardt.
Es setzte sich mit den oft nicht einfachen Problemen, die ihm durch manche Werke in den Ausstellungen gestellt werden, mit wohltuendem Ernst und Eifer auseinander, und es ist ein Zeichen der lebhaften österreichischen Geistigkeit, wenn es des öfteren zu erregten Widersprüchen kommt. Ganz zu schweigen von der Ambition, mit der es an Unterhaltungen teilnimmt, wenngleich es sich bei diesen niemals sicher ist, ob es sich auch amüsieren wird. Denn man hat es mit Künstlern zu tun, und man weiß, dass die auch beim berückensten Slowfox nicht mit der Wimper zucken, wenn ihnen ihre Leinwanden, ihr Lehm oder ihre Grundbegriffe im Augenblick wichtiger sind als Jazzmusik, nach der es zu tanzen angenehmere Pflicht wäre.
Die ersten sieben Jahre sind so verflossen. Ob es die sieben mageren oder fetten waren, sollen die sieben nächsten zeigen. Was die Sezession betrifft, so sind die Anzeichen von Arteriosklerose zur Zeit nirgends festzustellen. Sollten einmal Lockerungen wahrzunehmen sein, so wird man sich entschließen müssen, die in Vergessenheit geratenen Satzungen hervorzuholen und sie auf ihre entsprechende Anwendbarkeit zu überprüfen. Aber es wurde bereits erwähnt: die Statuten der Sezession scheinen wirklich überflüssig zu sein.
...mit y. Wilhelm Thöny erzählt und zeichnet, aus dem Nachlass herausgegeben von Thea Thöny.
70 Jahre Sezession Graz